Offener Brief der Bielefelder Gruppe „Maria 2.0“ und eine Reaktion

Offener Brief der Bielefelder Gruppe „Maria 2.0“ und eine Reaktion

Die Maria 2.0-Gruppen im Erzbistum Paderborn haben einen Offenen Brief verfasst zur Missbrauchsstudie München-Freising. Wir veröffentlichen hier den Brief im Namen der Bielefelder Gruppe „Maria 2.0“

„Mit Zorn und Entsetzen haben wir Frauen der Maria 2.0-Gruppen im Erzbistum Paderborn die Ergebnisse der neuen Missbrauchsstudie München-Freising zur Kenntnis genommen. Die darin enthaltenen Aussagen des emeritierten Papstes Benedikt XVI. irritieren im besonderen Maße und untergraben erneut die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche auf lange Zeit.

Die neue Studie zeigt deutlich auf, dass die Täter im kirchlichen Raum weitreichend geschützt wurden und werden, während sich die Opfer oft traumatisiert isolieren. Erschütternd ist, dass sich Benedikt XVI. immer noch nicht dem eigenen Fehlverhalten stellt und nachweislich zu Falschaussagen greift. Es verfestigt sich der unheilvolle Eindruck, der schon seit Bekanntwerden der ersten Fälle von Missbrauch entstanden ist: Dem emeritierten Papst und vielen Verantwortlichen der katholischen Kirche in Rom geht es überwiegend um den guten Ruf des Priesterstandes und der Kirche. In das Leid der Opfer, in die Folgenschwere einer solchen Tat für das Leben eines Betroffenen kann oder will man sich nicht hineindenken.

Zugleich gibt es auch ernsthafte Bemühungen der katholischen Kirche in Deutschland, Machtmissbrauch im kirchlichen Raum aufzuklären. Massive sexuelle Übergriffe durch Priester und andere kirchliche Mitarbeiter, aber auch körperliche Züchtigungen und weitere Formen subtiler Gewalt an zumeist abhängigen und ausgelieferten Menschen sind durch mehrere Studien belegt worden. Wir gehen aber davon aus, dass das Dunkelfeld deutlich größer ist, als es die bisher vorgelegten Zahlen aufzeigen.

Im Gespräch mit dem Paderborner Erzbischof H. J. Becker wurde uns im Juli 2021 zugesichert, dass das Erzbistum Paderborn in einer umfangreichen Studie eine eigene und vorbehaltlose Untersuchung der Situation durchführt. Wir begrüßen es sehr, dass ein Zwischenergebnis mittlerweile veröffentlicht worden ist, und fordern weiterhin eine intensive Information der Öffentlichkeit.

Wesentlich ist uns, die möglichen Ursachen für diesen umfassenden Machtmissbrauch gegenüber Kindern, Jugendlichen (und auch Frauen) genau zu analysieren.
Die Machtstrukturen in der katholischen Kirche, die ausgeprägte Hierarchie, die Überhöhung des männlichen Weiheamtes und eine lebensfeindliche Sexualmoral tragen u.a. dazu bei, dass Missbrauch sich entwickeln kann und letztlich geduldet wird.

Als Maria 2.0 im Erzbistum Paderborn fordern wir:

  • eine umfassende und rückhaltlose Aufklärung der einzelnen Fälle und einen angemessenen Umgang mit den Betroffenen
  • die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung der Täter durch öffentliche Gerichte
  • die intensive Auseinandersetzung mit den Ursachen des Machtmissbrauchs und weitreichende Konsequenzen (z.B. die Schaffung demokratisch-partizipativer Strukturen, Weiheämter für Frauen)

Wir begrüßen die bisherigen Arbeitsergebnisse des Synodalen Weges und fordern die Delegierten auf, weiterhin intensiv an Reformen mitzuwirken. Der im Erzbistum Paderborn initiierte Diözesane Weg mit dem Zukunftsbild 2030+ kann zu deutlichen Veränderungen beitragen. Das ist Hoffnung und Erwartung! Die Geduld vieler Frauen und Männer ist erschöpft.“


Reaktion auf den offenen Brief von Maria 2.0:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte mit meinem Brief Stellung nehmen zu dem Offenen Brief von Maria 2.0, der in der Märzausgabe 2022 von „was wann wo“ erschienen ist.

In dem Brief gehen die Autorinnen auf den Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche ein. Anlässlich der Missbrauchsstudie des Erzbistum München und Freising, die von der Anwaltskanzlei „Westpfahl Spilker Wastl“ angefertigt wurde, gehen die Autorinnen auf die Rolle des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ein und behaupten, dass dieser nachweislich Falschaussagen getätigt hat und sich immer noch nicht dem eigenen Fehlverhalten stellt. Das trifft nicht zu!

Zum Vorwurf der Falschaussage:  Prof. Dr. Stefan Mückl, Professor an der Universität Santa Croce in Rom, hat mit einem anderen Mitarbeiter Benedikt XVI . geholfen, die Akten des Erzbischöflichen Ordinariates in München und Freising durchzusehen und für die Anwaltskanzlei zu bearbeiten. Er berichtet, dass sie innerhalb von nur zwei Wochen gut 8.000 Seiten für die Kanzlei online bearbeiten mussten. Diese waren zudem nur am Bildschirm zu sehen, nicht in Papierform.  Man habe u.a. mit einer Art von Formularen arbeiten müssen, wo man z.B. „anwesend“ oder „abwesend“ ankreuzen sollte.

Für die bewusste Ordinariatssitzung am 15.01.1980 ist statt Erzbischof Ratzinger, was richtig wäre, versehentlich der Generalvikar als anwesend angekreuzt worden. Das meinte Benedikt XVI. mit „redaktionelle Fehler“. Bei der Sitzung ging es darum, ob der Bitte des Bistums Essen entsprochen werden soll, dem Priester X in der Diözese München die Möglichkeit zu geben, sich einer Therapie zu unterziehen und zu diesem Zwecke in einem Pfarrhaus zu wohnen. In dieser Sitzung wurde nicht darüber gesprochen, ob oder inwiefern der Priester X eine problematische Vergangenheit hat und ob er wieder in einer Pfarrei tätig werden soll. Dies ist dem Gutachten entnehmen. Der protokollierte Inhalt der Sitzung hatte keine weitere sachliche Bedeutung.

Prof. Dr. Mückl berichtete, dass Benedikt XVI. trotz seines hohen Alters sich stets über ihre Arbeit  und deren Ergebnisse informierte. Mit 95 Jahren ist das eine schwere Herausforderung. Dass Benedikt XVI. dennoch diese Arbeit auf sich genommen hat, zeigt doch, wie wichtig es ihm ist, die Missbrauchsvorfälle auch zu seiner Zeit als Bischof von München aufzuklären. Ich weiß nicht, wie man angesichts dieser Tatsachen dem Papst eine bewusste Falschaussage vorwerfen kann und ihn sogar als Lügner bezeichnet.

Wir leben in der sogenannten postfaktischen Zeit, heute zählen nicht die Fakten, sondern die Interpretationen oder Meinungen dazu. Im Gegensatz zur deutlich differenzierteren Betrachtung in der Weltpresse haben die deutschen Leitmedien das Thema gierig aufgenommen und Benedikt XVI. unter schweren Beschuss genommen, eine Art moderne Steinigung. Zielt die Benedikt XVI. entgegenschlagende Feindschaft in Deutschland nicht vielleicht über die „Erledigung“ seiner Person hinaus auf die „Erledigung“ einer Kirche, für die er steht?

Der zweite Vorwurf der Autorinnen ist, dass sich Benedikt XVI. immer noch nicht seinem Fehlverhalten stellt.

In seiner Stellungsname zu dem Gutachten hat  Benedikt XVI. u.a. geschrieben:
„Bei all meinen Begegnungen vor allem auf mehreren Apostolischen Reisen mit von Priestern sexuell missbrauchten Menschen habe ich den Folgen der übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht. Wie bei diesen Begegnungen kann ich nur noch einmal meine tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck bringen. Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind. Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs ist furchtbar und nicht wieder gut zu machen. Die Opfer von sexuellem Missbrauch haben mein tiefes Mitgefühl und ich bedauere jeden einzelnen Fall.“

Ich weiß wirklich nicht, was die Autorinnen darüber hinaus noch erwarten. Hat er überhaupt eine Chance, es den Autorinnen rechtzumachen?

Die Missbrauchstaten im kirchlichen Raum müssen jeden ehrlichen Katholiken berühren und verletzen. Sie müssen schonungslos aufgeklärt werden. Schon beim Missbrauch eines einzigen Kindes in der Kirche hätten wir alle aufschreien müssen.  Die Kirche muss zu ihrem Ursprung  zurückkehren, sie muss sich reinigen. Das aber setzt voraus, dass wir ins Gespräch kommen und uns versöhnen. Ich habe immer wieder den Eindruck, dass in Deutschland zwei katholische Kirchen nebeneinander leben, die nicht miteinander sprechen. Daher würde ich die Verfasserinnen des Briefes gern zu einem ehrlichen Gespräch einladen, um über ihre Anliegen, aber auch über die Wurzeln des Missbrauchsübels in der Kirche zu sprechen. Wir müssen uns klar werden, was wir beabsichtigen, und was wir bereit sind, selbst zu tun, um das zu erreichen.

Gott segne Sie

Roland Oleksik


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